Dr. Lukas Köhler

Luft nach oben - Das Bundestagsbriefing

Luft nach oben Titelbild

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die Demokratie und die Liebe haben etwas gemeinsam: ohne Streit schlafen sie ein. Konstruktiver Streit ist ein Zeichen der Vitalität, ein Garant des Fortschritts, er stiftet Freude und Sinn. Gleich zweimal bin ich in der letzten Woche zum Streiten mit Vertreterinnen der Fridays for Future (FFF) eingeladen worden; und auch wenn die Termine sehr unterschiedlich abgelaufen sind, waren beide durchaus fruchtbar. Zudem geisterte ein weit verbreitetes Fehlurteil leise durch die letzte Woche der Klimapolitik: Wer Strategien entwickle, sich an den Klimawandel anzupassen, der habe im Kampf dagegen bereits kapituliert. Das ist Unsinn, und das hat auch die Bundesregierung verstanden — viel mehr aber leider nicht, wie ihre tatsächliche „Anpassungsstrategie an den Klimawandel“ zeigt. Oder die Ergebnisse des Klimakabinetts: kein CCS, kein ETS und kein Funken Einsicht in Tatsache, dass das BEHG unserem Grundgesetz widerspricht. Außerdem werfe ich den Blick auf zwei Konzerne, denen man hierzulande wahrscheinlich vieles zutraut, aber ganz sicher keinen Klimaschutz. Und zuletzt erkläre ich, was unsere Fraktion mit Stephen Hawking gemeinsam hat.

Streitgespräch ZEIT

Ich lese furchtbar gerne Streitgespräche, und ich führe auch gern welche. Am liebsten leidenschaftlich. Bei meinem Streitgespräch in der ZEIT etwa hat Leonie Bremer auf der Forderung der FFF bestanden, dass Deutschland schon 2035 klimaneutral wirtschaften könne und müsse. Das war freilich eine Einladung, ihr Argument zu zerlegen. Denn selbst die Machbarkeitsstudie, die sie als Beleg dafür heranzieht, kommt zu einem anderen Ergebnis. In meinem gemeinsamen Gastbeitrag mit Prof. Schwarze habe ich die Kernaussage dieser Studie bereits erörtert: Ja, Deutschland könnte bereits 2035 klimaneutral sein — aber nur unter vollkommen unrealistischen Bedingungen! Hier ein einziges Beispiel, ich zitiere die Pressemitteilung des Wuppertal Instituts: „Im Gebäudebereich ist eine massive und nie dagewesene Steigerung der energetischen Sanierungsrate auf eine Höhe von etwa 4 Prozent pro Jahr notwendig ­– aktuell liegt die Rate bei lediglich rund 1 Prozent.“ Tja, wenn das Wörtchen wenn nicht wär‘, wäre Klimaschutz nicht schwer; ist er aber, sorry. Auch die Autoren der Studie räumen ein, dass „Fragen zur gerechten Verteilung des Budgets politischer und moralischer Natur sind und sich naturwissenschaftlich nicht eindeutig beantworten lassen.“ Aha.  

Das eigentliche Fazit der Studie lautet daher: Deutschlands Klimaneutralität bis 2035 ist weder realistisch noch notwendig. Ich finde aber, politische Ziele müssen realistisch sein, sonst frustrieren sie bloß und gefährden damit die wichtigste Währung der Demokratie: gesellschaftliche Akzeptanz. Deutschland innerhalb der EU bis 2050 in die Klimaneutralität zu führen ist ambitioniert, aber möglich; dieses Ziel jedoch künstlich zu unterbieten erinnert mich an eine Handwerkerweisheit: Nach fest kommt ab. Ganz anders lief diese Debatte übrigens mit Luisa Neubauer, doch dazu gleich mehr. 

LK Plenum

Denn zunächst wurde am Mittwoch der vergangenen Woche eine ausgesprochen wichtige Strategie im Bundestag debattiert: Die Anpassungsstrategie an den Klimawandel, die die Bundesregierung verfolgt. Grundsätzlich ist es gut, eine zu haben, denn ein wacher Blick auf das Problem zeigt: Es ist zu spät, um wirklich alle Folgen des Klimawandels zu verhindern; eine Anpassungsstrategie ist also dringend nötig! Die gute Nachricht lautet daher: Die Bundesregierung hat eine solche Strategie entwickelt — die schlechte hingegen: sie ist schlecht. Sie ist reaktiv und kleinteilig, statt proaktiv und ganzheitlich. Digitalisierung und Gentechnik werden als Mittel zur Problemlösung gänzlich ignoriert.

In meiner Rede vor dem Plenum des Bundestags habe ich daher argumentiert: Die Bundesregierung denkt nicht vor, sondern hechelt den Problemen hinterher; sie zettelt keinen Wettbewerb der Ideen an, sondern einen Wettbewerb der Bürokratie; sie legt keinen mutigen Masterplan vor, sondern ein zögerliches Stückwerk. Durch Digitalisierung könnten Ressourcen wie Energie und Wasser bedeutend effizienter genutzt werden; mit Hilfe moderner Gentechnik könnten Pflanzen resistenter gegen Dürreperioden und Schädlinge gemacht werden — doch beides wird von der Bundesregierung ausgeklammert. Dahinter vermute ich die gut tradierte, aber schlecht begründete Technologiefeindlichkeit, die in Deutschland und ganz besonders bei Bündnis 90 / Die Grünen extrem ausgeprägt ist. Die Widersprüchlichkeit ist hier für mich ebenso schlecht zu ertragen wie bei der Ablehnung der CO2-Obergrenze, die der Emissionshandel bietet: Klimaschutz fordern, aber wirksame Mittel dafür ablehnen — das wird mir niemals einleuchten! 

Streitgespräch TSP

Regelrecht angenehm hingegen war mein Streitgespräch mit Luisa Neubauer, das am letzten Sonntag im Tagesspiegel erschienen ist. Luisa ist informiert und reflektiert, sie argumentiert schlüssig und mutig, sie hört zu und greift auf. Vorurteile, etwa gegenüber meiner Parteizugehörigkeit, sind ihr fremd, und so konnten wir vorzüglich in der Sache streiten! Vor allem eines hat Luisa verstanden: Die Maximalforderung „Deutschlands Klimaneutralität 2035“ hat für die FFF eine taktische Funktion. Sie fordern bedeutend mehr als nötig ist, in der Hoffnung, damit das Nötige zu erreichen. Als Politiker, zumal als Pragmatiker sehe ich das freilich anders; doch auch wenn am Ende noch Differenzen zwischen Luisa und mir standen, haben wir einen guten Grundstein für das gelegt, was Andreas Levermann vom PIK in der taz gefordert hat: „Der Streit innerhalb derer, die ökologisch denken, ist das Letzte, was wir brauchen. Man sollte den Streit mit der nicht ökologisch denkenden Welt führen.“ Das wird nach diesem Gespräch deutlich leichter werden, denn Luisa Neubauer und ich haben verstanden, dass unsere klimapolitischen Gemeinsamkeiten größer sind, als unsere Differenzen.

Handelsblatt

Eine große Enttäuschung: mit diesen Worten habe ich die letzte Sitzung des Klimakabinetts im Handelsblatt umrissen — wobei es, genau genommen, drei große Enttäuschungen waren, die sich hinter drei Abkürzungen verstecken. Ein klimapolitisches Drama in drei Akten also: 

1. CCS: „Carbon Capture and Storage“ bedeutet, dass CO2 vor der Emission in die Atmosphäre eingefangen und dann langfristig gespeichert wird. (Oder es wird per „Carbon Capture and Utilization“ (CCU) als Rohstoff verwendet, etwa zur Herstellung klimaneutraler synthetischer Kraftstoffe oder zur Beschleunig von Pflanzenwachstum; idealerweise führt dies zu einer CO2-Kreislaufwirtschaft.) In den Modellen, die der Weltklimarat zum Erreichen des Pariser Abkommens durchgerechnet hat, kommt CCS vor — ohne geht es nicht! Und die Bundesregierung? Blendet diese Technologie vollkommen aus.

2. EU-ETS: Das „European Emissions Trading System“ ist das nachweislich beste Instrument für den Klimaschutz. Sein strenges CO2-Limit und der freie Handel mit Emissionsrechten funktionieren:  Energieproduktion, Industrie und Luftfahrt sind zur Teilnahme daran verpflichtet; sie erreichen ihre Klimaziele und übertreffen sie teilweise. In den Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft hingegen gilt er nicht; sie alle verfehlen ihre Klimaziele Jahr für Jahr. Doch was denkt die Bundesregierung sich aus, statt den ETS auf die fehlenden Sektoren auszuweiten?

3. Ein BEHG, ein „Brennstoffemissionshandelsgesetz“. Es sieht kein CO2-Limit vor und keinen freien Handel mit Emissionsrechten, sondern erhebt einen politisch festgesetzten Wert pro Tonne CO2 — ist also letztlich eine verkappte CO2-Steuer und damit potentiell verfassungswidrig. Hinzu kommt: An der Zapfsäule etwa wird es den Sprit um 7 bis 8 Cent pro Liter teurer machen. Fazit: Der Ärger beim Tanken und Heizen steigt, doch die Emissionen sinken nicht

Es ist und bleibt ein Trauerspiel: Die Bundesregierung verpasst eine Chance nach der anderen, die Bühne der Klimapolitik für einen großen Auftritt zu nutzen — dabei könnte sie schon in den ersten zwei Akten ohne viel Mühe brillieren. Traurig, peinlich, ärgerlich!

Aramco MCC

Und wer bastelt ungeachtet seines katastrophalen Öko-Image an klimafreundlichen Technologien? Das saudische Unternehmen Aramco. Mit 111 Milliarden Dollar Nettogewinn und über 65.000 Mitarbeitern ist es die größte Erdölfördergesellschaft der Welt. Und mit 56,29 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten, die das von ihnen geförderte Öl seit 1965 verursacht hat, hat Aramco einen Anteil von sage und schreibe 4,38% aller weltweiten Emissionen seit 1965, Donnerwetter! Zugleich investiert Aramco seit Jahren in die Erforschung und den Einsatz von Carbon-Capture-Technologien, die bisher vor allem in Kraftwerken zum Einsatz kommen. Mindestens genauso vielversprechend ist jedoch Aramcos Technologie, auch bei Fahrzeugen CO2 einzufangen und zu speichern: „Mobile Carbon Capture“. Für diesen immens Energie aufwendigen Prozess nutzen sie die Abwärme-Energie des Verbrennungsmotors, die normalerweise verpufft, und das finde ich echt smart. Im Jahr 2011 gelang ihnen dies mit 10% des CO2, das ein Pickup-Truck während der Fahrt emittiert; im Jahr 2013 waren es 30% bei einem PKW; 2019 fingen sie 40% der CO2-Emissionen eines „Heavy-Duty-Truck“ ein — nächstes Ziel: Frachtschiffe.

Lufthansa

Auch die Lufthansa erfreut sich ja nicht immer der größten Beliebtheit, hat aber gemeinsam mit der Bahn-Tochter Schenker am vergangenen Sonntag mal eben den ersten klimaneutralen Flug gestartet! Das Kerosin wurde aus Pflanzenrückständen und Speiseöl hergestellt, nur kleine Veränderungen am Triebwerk waren dafür nötig. Der Artikel im Handelsblatt bedarf schon einer genaueren Lektüre um herauszufinden, dass diese Klimaneutralität rechnerisch erzielt wird. Aber es bleibt dabei: Die Fortschritte der Forschung am klimaneutralen Luftverkehr finden statt — und das ist wirklich gut zu wissen.

Ohne also die bisherigen Aktivitäten der genannten Konzerne prinzipiell gutheißen zu wollen (oder auch nur zu kennen), gefällt mir das Prinzip dahinter: Unternehmen mit hohem Kapitalvermögen und hoher Emissionsverantwortung nutzen ihre Schlagkraft für die Entwicklung klimafreundlicher Technologien. Außerhalb der vereinfachten Welt des Populismus tun „die Bösen“ eben auch mal Gutes. Dass sie dies nicht aus reiner Nächsten- bzw. Umweltliebe tun, sondern um angesichts steigender Preise für CO2-Zertifikate profitabler zu werden (oder sogar am Markt zu überleben) finde ich dabei überhaupt nicht verwerflich! Ganz im Gegenteil ist der Emissionszertifikatenhandel genu dafür erfunden worden. Er folgt einer uralten philosophischen Einsicht: Nicht das Motiv zählt, sondern das Ergebnis — in diesem Falle: wirksamer Klimaschutz. 

GFKA

Und zum Schluss: Was haben wir Freie Demokraten mit Stephen Hawking gemeinsam? Wir geben „kurze Antworten auf große Fragen“ — mit mir als größtem und meinem Kollegen Frank Müller-Rosentritt als klei… sorry: kürzestem Abgeordneten. Das Thema ist auch wichtig, übrigens, und das Video steht hier

Ein schönes Wochenende und einen gemütlichen zweiten Advent wünscht von Herzen:

Ihr und Euer Lukas Köhler