Wien - Washington - Berlin: Ein Streifzug durch den Wahnsinn
Liebe Leserinnen und Leser,
ein Aufatmen geht durch den liberal orientierten Teil der Welt: Donald Trump ist als Präsident der USA abgewählt worden – oder um es mit Worten zu sagen, die auch er verstehen sollte: „You’re fired!“ Doch dazu gleich mehr, denn leider blicke ich nicht nur auf eine wahnsinnige, sondern mal wieder auf eine traurige Woche zurück. Während ich nämlich mit dem Blick nach Wien nun den zweiten Newsletter in Folge mit einer aufrichtigen Mitleidsbekundung für die Hinterbliebenen der Opfer eines Terrorangriffs beginnen muss, bin ich auf ein irritierendes wie frustrierendes Gefühl gestoßen: auf Ratlosigkeit. Natürlich ist aus zwischenmenschlicher Perspektive klar, dass ich mit den Hinterbliebenen trauere. Natürlich ist aus demokratisch-freiheitlicher Perspektive klar, dass bei ich meinem Statement der letzten Woche bleibe: „… auch dieser islamistische Angriff ist ein Angriff auf die liberalen Grundwerte Europas.“
In der Frage jedoch, wie wir diese Grundwerte verteidigen und wie wir solchen Gräueltaten vorbeugen — ganz verhindern werden wir sie wohl nicht können —, ist vieles nicht klar. Über die reine Bekundung meines Mitleids und dem Bekenntnis zu europäischen Werten hinaus habe ich also keine befriedigende Antwort parat. Als Abgeordneter, als Generalsekretär und freilich als Vater und Ehemann, als Sohn, Freund und Mitmensch wurmt mich diese eine Frage permanent: Wie können wir die offene Gesellschaft und alles, was das Leben in ihr so viel lebenswerter macht als das Leben im Totalitarismus, gegen ihre Feinde verteidigen? Denn gerade mit Blick auf den Islamismus als radikale und gewaltsame Verblendung des Islams — also nicht auf die spirituelle Form der Religion, die wiederum absolute Privatsache ist — wird mir immer wieder klar, was mir „heilig“ ist, also als unantastbar gilt: die Freiheit. Die Freiheit der Meinung und der Meinungsäußerung, der Presse und der Kunst inklusive der Satire; die Freiheit der Wissenschaft, der Wahl, der Religion und nicht zuletzt auch die Freiheit der Gedanken — dafür lohnt es sich zu kämpfen. Ich finde, um jeden Preis. Aber das macht es so schwer, wenn der Preis so hoch ist.
Der Schutz demokratischer Institutionen, die all diese Freiheiten bewahren, ist sicherlich ein Teil der komplizierten Antwort, nach der ich suche. Und damit sind wir auf unserem Streifzug durch den Wahnsinn in den USA angekommen, um genauer zu sein: In Washington. Zuerst gehen meine Glückwunsche natürlich an Joe Biden und Kamala Harris, die sich zum Ziel gesetzt haben, das „U“ in „USA“ wiederherzustellen und aus den inzwischen extrem gespaltenen Staaten von Amerika wieder die Vereinigten Staaten zu machen. Das wird eine harte Aufgabe, und viele Teile der Welt können sich schon einmal anschauen, wie die beiden das angehen – denn die USA stehen mit der Spaltung der Gesellschaft keineswegs alleine da. Doch das Gebaren des Donald Trump, der im Angesicht seiner zuerst drohenden und inzwischen faktischen Wahlniederlage vielleicht nur die ersten, aber doch sehr deutliche Töne des Totalitarismus anschlägt — „stop counting!“, „fraud!“ — ist ein heftiger ein Schlag ins Gesicht der Demokratie. Ein Share-Pic, das mich per WhatsApp erreicht hat, illustriert das Verhältnis zwischen Donald Trump und der Freiheit sehr schön, wie ich finde:
Schon zum Schutze der Demokratie ist es eine Wohltat, dass diese Farce der endgültig letzte Akt des Präsidenten Donald Trump sein wird. (Wobei man ja den Tag bekanntlich nicht vorm Abend loben soll; wer weiß, was „The Donald“, wie ihn der unvergleichliche Obama vor fast zehn Jahren in dieser großartigen Rede genannt hat, sich in seinen letzten Tagen im Weißen Haus noch leisten wird …) Die vielen anderen Gründe zu nennen, würde den Rahmen dieses Newsletters um ein Vielfaches überschreiten, nur einen will ich hier genauer beleuchten:
Der Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen, der von Trump eingeleitet und am Dienstag der letzten Woche offiziell vollzogen wurde. Denn die USA sind eben nicht bloß faktisch ein wichtiger Player der globalen Klimapolitik, sondern auch diplomatisch. Mit ihrem Ausstieg würde China zum mächtigsten Verhandlungspartner auf den jährlichen UN-Klimakonferenzen werden – was Vor- und Nachteile hätte. Der Vorteil ist sicherlich, dass China einen immensen Einfluss auf sein eigenes und das Klimabudget der ASEAN Staaten hat. Der Nachteil hingegen lautet, dass China bisher sehr auf seinen eigenen Vorteil bedacht war, insbesondere im Bereich der Schwammigkeit der Regeln. Ohne die USA wird es also ungleich schwerer, gute und klare Regeln zu vereinbaren. Nicht nur, aber insbesondere aus klimapolitischer Perspektive bleibt also zu hoffen, dass Joe Biden sein Versprechen hält, den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen wieder rückgängig zu machen. Denn ohne die Korrektur dieses Trump’schen Fehlers hätten die gesamten USA keinerlei klimapolitisches Mitspracherecht mehr und würden sich der globalen Pflicht entziehen, mit dem Klimawandel die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts zu bewältigen — und damit übrigens auch eine riesige wirtschaftliche Chance in den Wind schlagen! Und auch wenn mit Joe Biden als US-Präsident sicherlich nicht alles auf einen Schlag besser wird (weder in der Klimapolitik noch in anderen Feldern) muss eines klar sein: Wer nicht am Verhandlungstisch sitzt, kann auch nicht mitreden — das habe ich in meiner letzten Bundestagsrede auch der AfD entgegnet, die tatsächlich den Ausstieg Deutschlands aus dem Pariser Klimaabkommen fordert.
Im Rahmen der exakt gleichen Verweigerung, Evidenzen anzuerkennen, die auch Donald Trump und viele andere Populisten an den Tag legen, ist der Antrag der AfD freilich nur konsequent; in der Welt der Evidenzen jedoch, in der wir Menschen unseren fatalen Eingriff in das Ökosystem Erde korrigieren müssen – und zwar jenseits von Alarmismus auf der einen und Verharmlosung auf der anderen Seite! – ist auch das der reinste Wahnsinn. Ebenso wie die Tatsache, dass die AfD ganz offenbar nicht die Lösung von Problemen anstrebt, sondern stets deren Verschärfung. Die Internationale der Nationalisten hat mit der AfD also eine würdige Vertretung in Deutschland. Evident ist, dass sie Evidenzen abstreiten, und gemeinsam haben sie vor allem eines: den Angriff auf alle Gemeinsamkeiten, die Menschen nämlich auch dann haben, wenn sie verschiedenen politischen oder weltanschaulichen Denkschulen nahestehen. Doch die Spalter spalten wo sie können, sähen Wut und Hass und wollen auf diesem vergifteten Nährboden ihre Wahlerfolge ernten. Dass diese perfide Taktik aufgeht, zeigt wiederum der Blick in die SSA, die Split States of America, in denen die Anhänger der zwei Lager nur noch mit Wutschaum vor dem Mund miteinander sprechen — wenn überhaupt.
Im Interesse des Friedens, einer gesunden Streitkultur und der gemeinsamen und erfolgreichen Bewältigung des Klimawandels starte ich mit den Worten einer Schriftstellerin ins Wochenende, mit der ich durchaus nicht immer einer Meinung bin — aber genau darum geht es in den „SOS“-Empfehlungen, die Juli Zeh letzte Woche in der ZEIT veröffentlich hat:
„Sensibilität im Umgang mit fremden Ängsten, Offenheit für abweichende Positionen, Sorgfalt beim Formulieren der eigenen Ansichten.“
In exakt diesem Sinne wünsche ich Euch und Ihnen nach dieser letzten Woche des Wahnsinns nun einen konstruktiven Start in diese Woche,
Lukas Köhler